Familie Winters Schicksal bleibt unvergessen

80 Jahre nach der Deportation der Familie Winter von Singen nach Auschwitz-Birkenau erinnerte die Stadt Singen mit einer öffentlichen Gedenkveranstaltung an diesen schmerzhaften Punkt in der Stadtgeschichte.

Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Singen im Vordergund Anton Pedro Lehmann, Romani Rose, Maria Lehmann und OB Häusler.
Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Singen (von links): Anton Pedro Lehmann (Nachfahre der Fam. Winter), Romani Rose (Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma), Maria Lehmann (Nachfahrin der Fam. Winter) und OB Häusler.

Es geschah vor 80 Jahren in Singen: Am 23. März 1943 fuhren Einsatzkräfte der Kriminalpolizei und der Gestapo auf den Tannenberg und verhafteten zehn Mitglieder der Sinti-Familie Winter: Johann Ferdinand Winter (51), seine Frau Philippine (56), Sohn Karl (20), Tochter Anna (17), die 71-jährige Josefine Köhler, den Ziehsohn Bruno Reinhard (20), den Sohn Anton Winter (29) nebst Ehefrau Luise (25) mit den beiden Kindern Lothar (4) und Willi (1).

Die Familie bestieg einen Tag später am Singener Bahnhof den Zug, den die Kriminalpolizeistelle Karlsruhe für die Deportation der badischen Sinti und Roma bei der Deutschen Reichsbahn bestellt hatte – ein durchgehender Zug von Radolfzell bis Auschwitz – planmäßige Ankunft am 27. März 1943 um 15.01 Uhr, anschließender Weitertransport mit einem LKW in das Lager Birkenau. Dort wurde den Menschen zunächst ihre Identität ausgelöscht, ihr „Menschsein“ vernichtet und sie wurden zu Zahlen degradiert: Die Neuankömmlinge aus Singen mussten ihren linken Unterarm vorstrecken und erhielten Nummern eintätowiert: Z 5386, Z 5387, Z 5388, Z 5389, Z 5390, Z 5391, Z 5954, Z 5955, Z 5956 und Z 5957.

Der Alltag im Lager Auschwitz-Birkenau war von Hunger, Brutalität, Krankheit und Massenmord geprägt. Zuerst starben die Kinder – Willi Winter wurde nur ein Jahr und fünf Monate alt, sein Bruder Lothar starb mit fünf Jahren. Nacheinander wurden Johann Ferdinand Winter, seine Ehefrau Philippine und Josefine Köhler ermordet – dieser Leidensweg, dieses Schicksal der Familie Winter wurde von Axel Huber, städtischer Mitarbeiter und Historiker, gründlich aufgearbeitet und ans Tageslicht gebracht – auch in engem Kontakt mit der Familie Lehman, den Nachfahren der Winters, die ebenfalls bei der Gedenkveranstaltung in der Aula des Hegau-Gymnasiums anwesend waren.

Dass sich ein solches Unrecht nicht wiedergutmachen lässt, ist uns allen klar – aber dass dieses Schicksal nicht „in der Versenkung verschwindet und vergessen wird“, war einer der Beweggründe für diese besondere Gedenkveranstaltung: „Bei aller nach vorne in die Zukunft gewandte Ausrichtung, dürfen wir den Blick in die Vergangenheit, so sehr sie auch schmerzen mag, nicht vergessen“, mahnte Oberbürgermeister Bernd Häusler und weiter: „Dazu gehört auch, dass sich diese Stadt der Zeit des Nationalsozialismus, dessen Mechanismen und dessen Erbe in den vergangenen Jahrzehnten gestellt hat.“ Dass sich Singen diesem Erbe stellt, wird deutlich in der Stolperstein-Initiative, etlichen Büchern und Texten – und nicht zuletzt durch die wertvolle Arbeit des Ehrenbürgers Willi Waibel, der „Grenzen überwunden und Brücken gebaut hat.“

Dem Singener Stadtoberhaupt ist es überaus wichtig, junge Sintezas und Sintis zu stärken: Bildung ist für ihn der Schlüssel zur Teilhabe an der Gesellschaft, deshalb werde u.a. seit Jahren die Ausbildung von Elternlotsen und Mediatoren aus der Gruppe der Sintis und Jenischen unterstützt.

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, erinnerte in seiner Rede daran, dass es bei den deutschen Sinti und Roma-Familien niemanden gäbe, der nicht vom Holocaust betroffen wäre. Das unsägliche Leid habe sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Rose machte auch deutlich, dass viele Sinti und Roma nach der Nazizeit um ihre Entschädigungsansprüche betrogen wurden, da viele Täter aus der NS-Zeit danach einfach weiterbeschäftigt wurden. Aktuell sieht Rose die voranschreitende Polarisierung unserer Gesellschaft mit Sorge. „Es geht darum, die Demokratie zu verteidigen. Wir müssen zusammenwachsen und zusammenstehen“, so sein Fazit.

Für die musikalische Umrahmung sorgten Leah und Veronique Simon-Less. Zum Schluss trugen sich die Gäste in das Goldene Buch der Stadt Singen ein.